Der Beschluss vom 4. Dezember 2025 markiert den formalen Startpunkt der „Föderalen Modernisierungsagenda“ (FMA). Das übergeordnete Ziel ist die grundlegende Erneuerung, Verschlankung und Beschleunigung der staatlichen Verwaltung in Deutschland, um „schneller, digitaler und handlungsfähiger“ zu werden. Die Agenda adressiert explizit das Wohl von Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung.
Im Kern strebt die Agenda an, die föderalen Strukturen zu nutzen, um Gestaltungskraft zu entfalten, Hürden abzubauen und die gesamtstaatliche Handlungsfähigkeit zu stärken. Dies impliziert eine Abkehr von starren, langwierigen Gesetzgebungsverfahren hin zu einer experimentierfreudigeren, praxisorientierten und digitalisierten Verwaltungsorganisation. Für die kommunale Verwaltung ist diese Agenda von zentraler Bedeutung, da hier die meisten direkten Bürgerkontakte stattfinden. Die FMA ist die strategische Antwort auf die partiell gescheiterte oder unzureichende Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), dessen Fokus zu stark auf dem Frontend lag, während die notwendige tiefgreifende Prozessdigitalisierung (Backend) vernachlässigt wurde.
Konkrete Änderungen und Bewertung für die Kommunalverwaltung
Die FMA enthält Maßnahmen, die direkt oder indirekt auf die Entlastung der Kommunalverwaltung und die Verbesserung der Bürgerdienste abzielen, wobei insbesondere Lehren aus der OZG-Umsetzung gezogen wurden.
| Änderung / Maßnahme | Bezug zur Kommunalverwaltung & Bürger | Sinnvoll? | Bürokratieabbau-Potenzial |
|---|---|---|---|
| Obligatorische Prüfung von Experimentierklauseln (Reallabore) | Die Länder führen 2026 eine obligatorische Prüfung ein, ob Gesetze Experimentierklauseln enthalten sollen. Dies ermöglicht Kommunen, in sogenannten „Reallaboren“ (z.B. bei Baugenehmigungen oder Bürgerdiensten) temporär von starren Vorschriften abzuweichen und einfachere, digitalisierte Abläufe zu testen. (Fokus FMA) | Sehr hoch. Ermöglicht agile und praxistaugliche Gesetzesentwicklung, die direkt auf die Bedürfnisse der Kommunalpraxis zugeschnitten ist und starre „Wasserfall-Modernisierung“ vermeidet. | Stark. Bricht rigide Verfahrensweisen auf und erlaubt das vorübergehende Aussetzen unnötig komplexer Regeln zur Erprobung schlankerer Alternativen. |
| Fokus auf Digitalisierung und Standardisierung (Erweiterung des OZG-Gedankens) | Ziel ist die Bereitstellung schnellerer, digitaler Dienste für Bürger. Die Lehre aus dem OZG ist die Notwendigkeit der Ende-zu-Ende-Digitalisierung (Backend) und der Schaffung verbindlicher Standards für IT-Schnittstellen (Stichwort: Nachnutzung der EfA-Leistungen). (Fokus OZG-Korrektur) | Extrem hoch. Die Bürger profitieren von 24/7-Verfügbarkeit. Die Kommunen profitieren von automatisierten Fachverfahren und der Vermeidung des OZG-Medienbruchs zwischen Online-Antrag und Verwaltungsinternem. | Stark. Vereinheitlicht Prozesse, reduziert den manuellen Aufwand und macht das „Once-Only“-Prinzip (Daten müssen nur einmal angegeben werden) in der Praxis erst möglich. |
| Monitoring und Evaluation (Lücke aus der OZG-Umsetzung) | Die Agenda wird durch ein systematisches Evaluations- und Monitoring-System begleitet, das von einer politisch besetzten Steuerungsgruppe (CdS/St-Ebene) geleitet wird. Die OZG-Kritik monierte das Fehlen eines klaren Zielbildes und einer hinreichenden Steuerung. (Fokus FMA-Governance) | Hoch. Sorgt für die Nachhaltigkeit der Reformen und adressiert das im OZG kritisierte Fehlen eines klaren, übergreifenden Zielbildes über alle föderalen Ebenen hinweg. Die Kommunen erhalten dadurch Planungssicherheit. | Mittel. Baut nicht direkt Bürokratie ab, sondern sorgt für die politische Verbindlichkeit und Messbarkeit, damit die Digitalisierungs- und Entbürokratisierungsziele tatsächlich erreicht werden. |
Kritische Lücken und kommunale Realität (Umsetzungshemmnisse)
Die Föderale Modernisierungsagenda adressiert zwar die konzeptionellen Mängel des OZG (Fokus auf das Backend, Experimentierfreude), sie blendet jedoch weiterhin die fundamentalen Ressourcen- und Strukturprobleme der Kommunen aus, die den Erfolg der gesamten Digitalisierung in der Fläche massiv gefährden:
| Hemmnis | Auswirkung auf FMA/OZG | Bürokratie-Risiko |
|---|---|---|
| Umsetzungsverzug OZG (Ziel 2022) | Die Verpflichtung zur Umsetzung des OZG bis Ende 2022 wurde in vielen Kommunen nicht einmal ansatzweise erreicht. Die FMA legt neue Aufgaben auf, bevor die alten, gesetzlich vorgeschriebenen, abgeschlossen sind. | Hoch. Der Aufwuchs neuer Aufgaben (Experimentierklauseln, neue Standards) addiert sich zur alten Last und führt zur Überlastung der bereits überforderten Verwaltung. |
| Mangelndes IT-Fachpersonal | Die meisten Kommunen verfügen über kein oder unzureichendes Fachpersonal für IT-Betrieb, Entwicklung und Cybersicherheit. Die hochkomplexen EfA-Lösungen und neuen Backend-Anforderungen der FMA können ohne dieses Personal nicht nachhaltig implementiert und betreut werden. | Extrem hoch. Digitalisierung kann nicht durch das vorhandene, nicht-technische Personal geleistet werden. Dies führt zur Beibehaltung manueller Prozesse oder zur Abhängigkeit von teuren externen Dienstleistern. |
| Fehlendes Prozessmanagement & Fachwissen | Zahlreiche Kommunen besitzen kein formalisiertes Prozessmanagement. Ohne tiefes Wissen über die eigenen internen Abläufe ist eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung (Backend), die die FMA fordert, unmöglich. Es fehlt die Grundlage, um komplexe Prozesse neu zu denken und zu verschlanken. | Hoch. Die Digitalisierung von „schlechten“ (bürokratischen) Prozessen führt zur digitalen Bürokratie-Verstärkung statt zum Abbau. |
| Finanzierungslücke (Neue Kosten) | Die Umsetzung von OZG- und FMA-Vorgaben (Adaption von EfA-Lösungen, Schulungen, IT-Sicherheit) verursacht laufende Folgekosten, die in den chronisch defizitären Kommunalhaushalten nicht dauerhaft gedeckt sind. Die Anschubfinanzierung des Bundes (Corona-Konjunkturpaket) ist ausgelaufen. | Extrem hoch. Ohne eine dauerhafte, strukturelle Finanzierung der Betriebskosten durch Bund und Länder werden Digitalprojekte nach Pilotphasen eingestellt oder die Kommunen müssen die Kosten über Gebühren weiterreichen. |
| Ineffizienz der Interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) | Die oft als Allheilmittel propagierte IKZ (Zusammenarbeit mehrerer Kommunen zur IT-Bündelung) führt in der Praxis oft zu erheblicher Verlangsamung. Abstimmungen über Standards, Fachverfahren und Zeitpläne mit mehreren Partnern dauern in der Regel länger, als eine einzelne Kommune benötigen würde. | Mittel. Die IKZ löst zwar das Personalproblem nicht, kann aber das Koordinationsproblem massiv verschärfen, was die Umsetzung des FMA-Tempos konterkariert. |
Fazit und Bürger-Nutzen
Die Föderale Modernisierungsagenda ist konzeptionell ein wichtiger Schritt zur Korrektur der OZG-Mängel (Fokus auf Backend und Flexibilität durch Experimentierklauseln).
Ihr Erfolg hängt jedoch kritisch davon ab, ob Bund und Länder bereit sind, die kommunale Realität anzuerkennen und die genannten Hemmnisse durch finanzielle und personelle Kapazitätsstärkung (Einstellen/Ausbilden von IT-Personal, dauerhafte Kostenübernahme) direkt zu adressieren. Ohne diese Stärkung bleibt die FMA eine hochrangige politische Absichtserklärung, deren Wirkung in der direkten Bürgerverwaltung (Kommune) massiv verpuffen wird.
