Open-Source-Wettbewerb: Warum das die Verwaltung nicht rettet

Ein kritischer Blick auf eine oft übersehene Realität

Open Source gilt als Allheilmittel für viele digitale Probleme. Auch in der öffentlichen Verwaltung wird es als Weg zu mehr Transparenz, Innovation und Unabhängigkeit von großen Tech-Konzernen gesehen. Ein aktueller Wettbewerb soll nun mit Open-Source-Projekten die öffentliche Verwaltung revolutionieren. Doch ist das wirklich die Lösung? Dieser Artikel beleuchtet, warum der Open-Source-Wettbewerb Verwaltung nicht retten wird und welche tiefer liegenden Probleme übersehen werden.

Ein Puzzleteil, das nicht passt: Open Source und fehlende Systemintegration

Die Idee, mittels eines Wettbewerbs innovative Open-Source-Lösungen zu finden, klingt auf den ersten Blick verlockend. Das Problem: Die eingereichten Projekte sind oft Insellösungen. Sie sind eigenständige Anwendungen, die eine spezifische Aufgabe lösen – sei es die Meldung von Schlaglöchern oder die Anmeldung für einen Bürgerkurs. Diese Apps haben jedoch kaum einen Einfluss auf die Kernprozesse der Verwaltung, denn sie sind nicht in die bestehenden, komplexen Infrastrukturen integriert.

Die öffentliche Verwaltung ist ein riesiges Netzwerk aus Fachanwendungen, Datenbanken und Altsystemen. Eine neue App, die als hübsche Webanwendung für den Bürger fungiert, kann die Prozesse im Hintergrund nicht beschleunigen, wenn sie nicht mit den Systemen kommuniziert, die tagtäglich genutzt werden. Das ist, als würde man einem Radfahrer ein Navigationsgerät für ein Auto geben – es funktioniert, aber es löst nicht die eigentlichen Probleme der Fortbewegung.

Die wahre Abhängigkeit: Warum Open Source nicht automatisch die Microsoft-Dominanz beendet

Eines der Hauptziele von Open-Source-Initiativen in der Verwaltung ist die Loslösung von proprietären Ökosystemen, allen voran von Microsoft. Doch hier liegt ein fundamentales Missverständnis vor. Der Open-Source-Wettbewerb konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Anwendungen, nicht aber auf den Austausch der Basis-Infrastruktur.

Die Realität in den deutschen Kommunen sieht so aus:

  • Der Großteil der Rechner läuft mit Windows.
  • Das gesamte Applikations-Ökosystem basiert auf Microsoft-Produkten wie Office.
  • Viele kritische Fachanwendungen, die für die tägliche Arbeit unverzichtbar sind, haben tiefe Abhängigkeiten von proprietären .Net-Frameworks oder spezifischen DLLs.

Spätestens wenn wir einen Blick ins Bürgerbüro oder den Bürgerservice werfen, wo Vorgaben und Geräte der Bundesdruckerei zwingend benötigt und genutzt werden, ist die Abhängigkeit unumstößlich vorhanden. Hier muss konzeptionell umgedacht werden. Fachanwendungen müssen komplett neu für Open Source geschrieben werden.

Solange diese grundlegenden Abhängigkeiten bestehen, können auch die besten neuen Open-Source-Anwendungen keine nachhaltige Veränderung herbeiführen. Sie werden entweder nicht genutzt oder müssen aufwändig in eine Systemlandschaft integriert werden, die nicht für sie geschaffen wurde.

Verwaltung im Dilemma: Die Herausforderung durch fehlende IT-Kompetenzen

Deutschland hat rund 11.000 Kommunen. Weit über 95 % davon sind Kleinstädte und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern. In diesen Kommunen ist die IT-Landschaft eine besondere Herausforderung. Oft gibt es keine einzige ausgebildete IT-Fachkraft. Stattdessen sind Verwaltungsfachangestellte für die IT verantwortlich – Menschen, die eigentlich auf andere Aufgaben spezialisiert sind und meist nur Basiskenntnisse im Umgang mit Computern besitzen.

Externe Dienstleister werden zwar hinzugezogen, aber ohne einen internen Auftraggeber, der die strategischen Anforderungen definieren kann, sind die Ergebnisse oft unzureichend. Das führt zu einer veralteten und ineffizienten IT-Landschaft. Solange die Kommunen die IT nicht als kritische Infrastruktur begreifen, die Investitionen in Fachpersonal und Ressourcen benötigt, werden weder Open-Source-Wettbewerbe noch andere Initiativen die Situation grundlegend verbessern können.

Alte Strukturen, junge Technologie: Wie die Politik die Digitalisierung ausbremst

Das durchschnittliche Alter in kommunalen Gemeindevertretungen und -vorständen nähert sich oft der 70- oder 80-Jahre-Marke. Während das Alter allein keine Aussage über die Kompetenz macht, fehlt es in vielen Fällen an einem tiefgreifenden Verständnis für moderne Technologien und deren Potenzial. Dieses Verständnis ist jedoch essenziell, um die notwendigen finanziellen und strategischen Entscheidungen für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung zu treffen. Ohne diese Weichenstellung von oben bleiben ambitionierte Projekte im Sande stecken.

Digitalisierung ist mehr als nur Software: Der Mangel an digitaler Ausbildung

Viele Mitarbeiter in den Verwaltungen haben den Sprung von der Schreibmaschine zum PC ohne ausreichende Schulung gemacht. Die digitale Kompetenz ist in vielen Bereichen erschreckend gering. Es ist keine Seltenheit, dass selbst heute noch grundlegende Aufgaben in Programmen wie Word oder Excel ineffizient ausgeführt werden, weil die Mitarbeiter nie eine systematische Ausbildung erhalten haben. Die Digitalisierung einer Verwaltung beginnt nicht mit dem Einspielen neuer Software, sondern mit der Schulung der Menschen, die diese Software nutzen sollen.

Fazit: Die Illusion des schnellen Erfolgs

Der Open-Source-Wettbewerb für eine bessere Verwaltung ist eine noble Idee, die jedoch die Komplexität der Herausforderungen ignoriert. Er liefert Insellösungen, die an den grundlegenden Problemen vorbeigehen, nämlich:

  • Der fehlenden IT-Integration in bestehende Systeme.
  • Der tief verwurzelten Abhängigkeit von proprietären Ökosystemen.
  • Dem Mangel an IT-Fachkräften in der kommunalen Praxis.
  • Der fehlenden strategischen Führung durch Politik und Verwaltung.
  • Der unzureichenden digitalen Ausbildung des Personals.

Ein nachhaltiger Wandel erfordert einen ganzheitlichen Ansatz: mehr Investitionen in qualifiziertes Personal, eine umfassende strategische Planung und die konsequente Schulung der Mitarbeiter. Nur wenn diese Fundamente gelegt sind, kann Open Source sein volles Potenzial in der öffentlichen Verwaltung entfalten.

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